World Budo Sai in Okinawa

Zum Gedenken an den 110. Geburtstag von Bushi Miyagi Chojun

Bevor wir über den World Budo Sai berichten, werden sich einige der geschätzten Leser sicher noch an den 1. Internationalen Oktoberfest Lehrgang mit Hanshi Morio Higaonna (Vorsitzender der International Okinawa Goju Ryu Karate-Do Federation) im vergangenen Jahr in München erinnern. Bei dieser Gelegenheit hatte Higaonna-Sensei vor den 250 Teilnehmern die Einladung ausgesprochen, das diesjährige World Budo Sai zu besuchen. Nach intensiver Vorbereitung war es schließlich für 23 Karateka der Münchener Dojos von Sensei Itaru Kuramatsu und Sensei Harunobu Matsuba am 18. August 1998 soweit, die Reise anzutreten.

Nach insgesamt rund 16 Stunden Reisezeit hatten wir glücklich am 19. August gegen Abend Naha, die Hauptstadt von Okinawa, erreicht. Der erste Eindruck war „Dampfbad“, bei 35° Celsius und über 95% Luftfeuchtigkeit. Obwohl wir auch in Deutschland schon bei vergleichbarer Temperatur trainiert hatten, kamen doch Einigen, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit erste Bedenken, da der Schweiß bereits ohne die geringste Bewegung in Strömen floß.

In unserer Unterkunft hatten die Organisatoren des Budo Sai die Anmeldung für die insgesamt etwa 400 Teilnehmer aus über 40 Ländern eingerichtet. Hier wurden auch wir von Higaonna-Sensei persönlich sehr freundlich begrüßt und hatten Gelegenheit seine Schüler Kazuo Terauchi und Tetsuji Nakamura kennenzulernen.

Aufgrund der langen Anreise und des anstrengenden Klimawechsels ziemlich ermüdet, ließen wir den ersten Abend – nach einem entspannenden japanischen Bad – bald ausklingen. Schließlich sollte am kommenden Morgen bereits um 9:00 Uhr das erste Training beginnen.

Das am 20. August beginnende am World Budo Sai Festival gliederte sich im wesentlichen in die Teilbereiche: Training (Chief Instructors und Dan Träger ab 4. Dan, Dan Träger1. – 3. Dan, 1.-3. und 4. und niedrigere Kyu), Irikumi-Go, Symposium, Vorträge zur Geschichte und zur Verbindung zwischen Karate und Zen, Festival mit Karate-Präsentation und Folklore Darbietungen.

Wir werden versuchen diese einzelnen Teilbereiche in einigen Aspekten zu beschreiben, bitten aber um Verständnis, daß es unmöglich ist, an dieser Stelle auch nur ein annähernd vollständiges Bild wiederzugeben. Wir hoffen jedoch, den interessierten Karateka wenigstens einen kleinen Eindruck dieser großartigen Veranstaltungen vermitteln zu können.

Irikumi-Go (Vollkontakt-Kumite)

Einige Vorbemerkungen seien erlaubt: Beim Irikumi als Kumite Form werden die Kräfte gemessen, jedoch spielt der Wettkampfgedanke keine wesentliche Rolle. Der Sinn des Irikumi ist vielmehr, die erlernten Techniken möglichst an der Praxis zu orientieren und den Teilnehmern die Gelegenheit zu bieten, reale Kampfsituationen zu simulieren. Unterschieden wird einerseits Irikumi-Ju (Ju=weich), das hinsichtlich der Härte mit dem innerhalb des DKV üblichen Kumite zu vergleichen ist, andererseits ist das Irikumi-Go (Go=hart) die Vollkontakt Variante, bei der z.B. auch Vollkontakt-Tritte zum Kopf erlaubt sind.

Hervorragende Kämpfer zeigten hier beispielhafte Ausdauer und technische Perfektion. Darüberhinaus waren die Kämpfe durchweg von vorbildlicher Fairness geprägt. Die Umarmung der Kontrahenten nach dem Kampf war hierfür nur das äußere Zeichen. Das deutsche Team hat an diesem Turnier nicht teilgenommen, da die überwiegende Zahl unserer Karateka diese Form des Irikumi zum ersten Mal gesehen hat und es sicherlich noch ausführlichen Vorbereitungen bedarf, um ein akzeptables Team für diese Art von Vergleichen vorzubereiten.

Zum Training

An dieser Stelle wollen wir einige Worte zum äußeren Rahmen der einzelnen Trainingssequenzen und des am World Budo Sai verlieren: Diesen äußeren Rahmen bildete das Okinawaken Budokan (Okinawa Prefecture Hall of Martial Arts), ein moderner, optimal auf die Trainings Bedürfnisse der Kampfkünste ausgerichteter Gebäudekomplex. Trotz beeindruckender Größe und Modernität fasziniert dieses Bauwerk mit seiner Architektur, die bewusst traditionelle Elemente einsetzt und den Trainierenden gleichzeitig perfekte Zweckmäßigkeit bietet.

Zum Training stehen drei helle, klimatisierte Dojos mit jeweils etwa 300 qm Trainingsfläche und Tribünen für einige hundert Zuschauer zur Verfügung. Zwei dieser Dojos sind mit Holzfußböden und eines ist mit Tatamis ausgestattet. Jedes Dojo bietet den Trainern zusätzlich die Möglichkeit sich, z. B. zu Besprechungen, in mit Papier-Schiebewänden abgetrennte Nebenräume zurückzuziehen.

Trainingsgruppen

Die erste Trainingsgruppe bildeten die Chief Instructor’s der einzelnen teilnehmenden Länder. Diese Gruppe wurde von Sensei Higaonna und seinen Lehrern, den beiden „Altmeistern“ und direkten Schülern von Bushi Miyagi Chojun, Miyagi Anichi und Aragaki Shuichi persönlich betreut. Hier wurden einzelne technische Aspekte, insbesondere der höheren Kata hinsichtlich ihrer Bedeutung und Ausführung, detailliert beleuchtet.

Ursprünglich für ein gemeinsames „All Grades“-Training vorgesehen, wurde die Gruppe der übrigen Teilnehmer wegen der großen Teilnehmerzahl weiter in Danträger und Kyu Stufe aufgeteilt:

In der Gruppe der Danträger wurden unter anderem insbesondere Kampftechniken mit dem Partner, Hebel- und Wurftechniken sowie detaillierte Übungen zu der Kata Shisochin bei Sensei Higaonna trainiert.

Die Teilnehmer der Kyu Stufe trainierten bei den Senseis Morio Higaonna, Kazuo Terauchi und Juichi Kokubo. Als besondere Highlights dieser Trainingssequenzen sollen hier nur die exzellente Vermittlung von Bodenkampftechniken durch Kokubo-Sensei und – für alle Teilnehmer sicherlich unvergessen – das Abschlusstraining durch Higaonna-Sensei, der die Teilnehmer über mehr als eine Stunde im Shiko-Dachi zu persönlichen Höchstleistungen anspornte, genannt sein.

Ein „Geschenk“ für alle zum Abschluß des Trainings. Die Sayonara-Party am selben Abend war dementsprechend wohlverdient.

Symposium und Vorträge

Neben den praktischen Übungen im Training gaben sich insbesondere Sensei Miyagi Anichi und Sensei Aragaki Shuichi größte Mühe die persönlichen Erfahrungen ihrer Lehrzeit unter Bushi Miyagi Chojun an die Teilnehmer weiterzugeben. In mehreren Abschnitten berichteten diese beiden großen alten Herren des Karate sowohl viele Einzelheiten über dieses Training, als auch einige Anekdoten, die den Charakter von Bushi Miyagi Chojun, und den seines Lehrers, Higaonna Kanryo, für die Zuhörer leichter begreifbar werden ließen.

Der große Zen-Meister Sakiyama Sogen Roshi stellte zwischen Karate und Zen folgende Verbindung her: Zu unterscheiden seien drei Wege des Karate: Das Karate des Löwen, das Karate des Tigers und das Karate eines kämpfenden Hundes. Wenn ein Kämpfer ruhig bleibt wie ein Heiliger, seine Kraft in sich verbirgt und siegt ohne zu kämpfen, ist dies das Karate des Löwen. Ein starker Kämpfer, der den Eindrucksvollen Kampfgeistes erweckt, zeigt das Karate des Tigers. Und wenn ein Karateka sich stets des Kampfes bewusst ist und den Kampf genießt, nennen wir dies das Karate des kämpfenden Hundes. Sakiyama Sogen Roshi wünschte uns allen, den Weg des Löwen zu gehen um unser Karate zu einer wirklichen Kampfkunst werden zu lassen. Diesen Wunsch möchten wir an Euch an dieser Stelle gern weitergeben.

World Budo Sai – Festival und Karate Präsentation

Das am World Budo Sai wurde in der großen Halle des Budokan abgehalten, die – ebenfalls klimatisiert und modern ausgestattet – einigen tausend Zuschauern Platz bietet und durch ihre hervorragenden technischen Einrichtungen für Teilnehmer und Zuschauer einen großartigen Rahmen für die brillanten Vorführungen bot.

Über beinahe vier Stunden wurde hier – in der ausverkauften Halle – ein Feuerwerk von Karate-Präsentationen, Darbietungen verschiedenster Kampfkunst Richtungen und traditioneller Folklore geboten.

 

Die Menschen

Dieses Festival World Budo Sai wurde zu Ehren von Bushi Miyagi Chojun veranstaltet. Den Titel „Bushi“ – einen ritterlichen Ehrentitel – erhielt Sensei Miyagi in großer Verehrung vom okinawanischen Volk.

Miyagi Anichi, Aragaki Shuichi, seine direkten Schüler und Higaonna Morio, der World Chief Instructor der I.O.G.K.F. stehen unmittelbar in dieser Tradition.

Wir wurden in einer Atmosphäre von menschlicher Wärme und Freundlichkeit, die keiner von uns in dieser Form erwartet hätte, empfangen. Und auch außerhalb des Trainings haben wir die Freundlichkeit des okinawanischen Volkes sehr intensiv erfahren.

Während der gesamten Veranstaltung und ganz besonders zum Schluß, auf der Sayonara-Party, hatten wir das Gefühl zu einer großen Familie zu gehören. Die Abreise und die Trennung von den vielen neuen Freundinnen und Freunden ist uns allen schwer gefallen.

Allen Leserinnen und Lesern, wünschen wir – als Teilnehmer am World Budo Sai 1998 – die Erfahrung einer persönlichen Begegnung mit einem dieser herausragenden Menschen zu machen. Wir werden deshalb versuchen, Hanshi Morio Higaonna für weitere Lehrgänge zu gewinnen.